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WERTvolle Gedanken

Mein Geburtstag. Ein kleine, gemütliche Familienrunde beim Kuchenessen. Die Kinder spielen im Kinderzimmer und kommen angelaufen: „Mama, Mama wir wollen baden.“ Ich denke: „Klar. Kein Problem.“ Meine Schwester sagt: „Nein.“
Große Enttäuschung bei den Kindern. Meine Tochter fängt bitterlich an zu weinen. Die große Cousine fragt: „Warum nicht, Mama?“
„Weil,… (Stille) …ich will das jetzt einfach nicht.“
Ein ganz typischer Konflikt, der in jedem Erziehungsalltag in unterschiedlicher Form vorkommt. Das Kind wünscht etwas oder tut etwas, das ich nicht will.
Meist habe ich auch eine Begründung für mein „Nein“, weil der Wunsch oder dieses Verhalten für mich einen Aufwand hat, den ich nicht bereit bin zu geben. Wenn zum Beispiel mein Kind morgens um fünf spielen möchte und ich doch viel lieber schlafen will, oder mein Teenager unbedingt das neue Smartphone braucht und ich nicht das Geld dafür ausgeben möchte. Dann stecken wir in einem Bedürfniskonflikt.
Doch es gibt auch viele Situationen, in denen mir einfach die Begründung fehlt. So wie bei dem Wunsch der Kinder zu Baden. Meine Schwester hätte keinen Aufwand und auch sonst keine negativen Folgen für sich gehabt, wenn die Kinder gebadet hätten. Doch für sie fühlte es sich irgendwie nicht richtig an. Im Hinterkopf kam vielleicht der Gedanke auf: „Man badet doch nicht auf einer Geburtstagsfeier.“
Genau in diesen Momenten stecken wir mitten in einem Wertkonflikt. Immer dann, wenn sich das Verhalten oder der Wunsch des Kindes für mich nicht „richtig“ anfühlt, OHNE dass ich eine direkte Folge dadurch habe bzw. es mich etwas „kostet“ (Zeit, Geld, Energie…).
Von diesen Situationen gibt es unendlich viele: Die Tochter, die im kurzen Minirock in die Schule gehen will. Der Teenager, der raucht. Das Kind, das kein Gemüse isst. Oder das Schulkind, dass nicht zum Sporttraining gehen will oder sein Musikinstrument nicht regelmäßig übt.
Hier prallen unterschiedliche Werte aufeinander. Die Tochter findet ihr Outfit modisch und die Eltern denken: „So geht man nicht auf die Straße.“ Der Teenager findet Rauchen cool und die Eltern lebensgefährlich. Das Kind mag kein Gemüse und die Eltern finden Gemüse wichtig für die Gesundheit. Und das Kind möchte gerne nach seinem täglichen Befinden über seine Freizeit bestimmen, während die Eltern der Meinung sind, dass man sich mit der Anmeldung auch zur regelmäßigen Teilnahme verpflichtet.
Ihnen fallen sicher selbst viele Beispiele dazu ein und Sie fragen sich, welche Möglichkeiten es gibt, solche Konflikte zu lösen. In der Regel enden diese doch in heftigen Auseinandersetzungen.
Der Weg, den ich häufig beobachte, ist der der Machtanwendung mit klassischen Verboten, oder der Androhung von Strafen. „In dem Outfit darfst du nicht losgehen. Zieh dich um!“, „Wenn du heute nicht zum Training gehst, dann melde ich dich ab und du kannst nie wieder hingehen.“
Oft wird auch mit Belohnungen versucht, die Kinder vom „richtigen“ Verhalten zu überzeugen: „Wenn du dein Gemüse isst, bekommst du auch einen Nachtisch.“ In Folge dieser Konfliktlösungen handelt das Kind vielleicht entsprechend unserer Werte, doch der Antrieb ist die Angst vor der Strafe oder die Abhängigkeit von der Belohnung.
Wenn ich jedoch meine Erziehung mit der Grundhaltung angehe, dass mein Kind nicht einfach meine Werte und Ansichten übernehmen soll, sondern vielmehr meine Überzeugungen kennen lernt und zugleich lernt, sich eine eigene Meinung zu bilden, dann kann ich in Wertkonflikten vielfältiger handeln. Thomas Gordon zeigt dazu in seinem Buch „Familienkonferenz“ gleich fünf Möglichkeiten auf, die weitaus beziehungsfördernder sind, als der allseits bekannte Machtkampf.

1. WERTE ÜBERDENKEN

Ich kann damit beginnen meine eigenen Werte zu überdenken. Welche davon habe ich einfach unreflektiert von meinen Eltern und meiner Umgebung übernommen? Welche Werte sind mir wirklich wichtig und von welchen kann ich mich getrost verabschieden?
Meist werden damit viele Konflikte bereits gelöst, bevor sie überhaupt auftauchen oder eskalieren. So auch der Badewannenkonflikt. Meine Schwester hat innerhalb von Sekunden ihren Wert überdacht und ihr „Nein“ zurückgezogen. Die beiden Kinder waren eine Stunde lang zufrieden in der Badewanne und für uns Erwachsenen gab es keinen Nachteil.

2. VORLEBEN

Ich bin mir bewusst, dass ich das wichtigste Vorbild meiner Kinder bin. Sie ahmen uns ständig nach und so ist die wirksamste Möglichkeit unsere Werte zu vermitteln, das Vorleben. Dazu gehört natürlich, dass ich nach meinen Werten lebe. Wenn es mir zum Beispiel wichtig ist, dass mein Kind Sport macht, ich mich aber selbst kaum bewege, ist mein Vorbild nicht kongruent zu meinem Wert.

3. KONFRONTIEREN

Ich darf meine Werte haben und diese auch vertreten. So kann ich meinem Kind mitteilen, wenn ich ein Verhalten von ihm nicht akzeptieren kann und warum. Wichtig ist, dass ich dabei wertschätzende Ich-Botschaften sende. Zum Beispiel: „Mir ist es wichtig Sachen mit meinen Freunden zu teilen, weil das für mich zur Freundschaft gehört. Ich befürchte, dass sonst vielleicht auch die anderen nicht mit dir teilen oder befreundet sein möchten.“ statt Verallgemeinerungen: „Man teilt Sachen mit seinen Freunden.“ oder Du-Botschaften „Immer bist du so egoistisch. Du wirst schon noch sehen, was du davon hast.“

Oft ändern Kinder ihr Verhalten, weil sie uns mögen oder weil sie unsere Sorgen und Ängste nachvollziehen können und sich vorher der Gefahren oder Nachteile ihres Handelns nicht bewusst waren.

4. BERATEN

Ich kann meine Werte auch umfangreicher erklären und mit Daten und Fakten hinterlegen. Damit meine Beratung auch bei meinem Kind ankommt, hole ich mir vorher eine Freigabe ein und frage, ob es an meiner Meinung interessiert ist. Darüber hinaus spare ich mir das mehrfache Wiederholen meiner Beratung und überlasse die Entscheidung über die Verhaltensänderung meinem Kind (auch wenn das oft nicht leichtfällt).

5. EINE LÖSUNG FINDEN, DIE FÜR ALLE PASST

5. EINE LÖSUNG FINDEN, DIE FÜR ALLE PASST
Wenn mein Kind ein Verhalten zeigt, dass ich absolut nicht akzeptieren kann und die vorangegangen vier Möglichkeiten keine Wirkung gezeigt haben, kann ich versuchen gemeinsam mit meinem Kind eine Lösung zu finden, mit der wir beide klarkommen. So kann zum Beispiel der rauchende Teenager, auf das Rauchen in meiner Anwesenheit verzichten. Oder mein Kind bei festlichen Anlässen Kleidung tragen, die ich akzeptieren kann und an allen anderen Tagen diese frei wählen.
Diese fünf Möglichkeiten geben mir die Chance auf den Machteinsatz zu verzichten und viele Wertkonflikte zu lösen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Sie sind ein Teil der beziehungsfördernden Kommunikation nach Dr. Thomas Gordon, dem Entwickler des Gordon-Familientrainings. Eltern können neben dem Umgang mit Wertkonflikten in diesen Kursen lernen, wie sie Bedürfniskonflikte in Win-Win-Situationen umwandeln, ihren Kinder bei Problemen hilfreich beistehen, wie sie Grenzen setzen und dabei wertschätzend bleiben und mit klaren und liebevollen Botschaften die harmonische Familienzeit vervielfältigen.

Selbst-bewusst-Miteinander by Heike Ritter www.heikeritter.de